Wandmalerei in Tirano 1 / Italien
„Ein altes Tor mit Weg, Baum, Treppe und Hühnern dahinter. Und dann die Wandmalerei, die Farben die eisernen Armierungsstangen, das gemalte und das reale Laub – das Bild will gelesen werden wie alle Arbeiten von Bernd Scheffer. (…) Hinter dem Tor zeigt sich ein Innenhof, der nach rechts durch eine niedrige Mauer abgeschlossen wird und in der Perspektivflucht an einer kleinen Treppe endet; links daneben wird ein Garagentor halb angeschnitten, das ganz sicher ins Zeitalter der Motorfahrzeuge gehört (…). Ganz rechts neben dem Tor zeigt sich der verknotete Baumstamm eines nicht näher bestimmbaren Schlingengewächses, kurz daneben und dahinter sind zwei Hühner zugange; der Boden, auf dem sie picken, sieht nach langer Nutzung durch das Federvieh aus. Den größten Teil der Bildfläche nimmt eine Wandfläche ein. Links ist eine gemalte Szenerie erkennbar, die direkt unter dem kaum sichtbaren Kämpfer des Deckengewölbes ansetzt und eine Säule samt Balustrade mit darüber wucherndem Gestrüpp darstellt. In seinen besten Zeiten mag das Bild ein wenig Illusion über die weite Landschaft hinter der Mauer verbreitet haben, durch seinen inzwischen ruinösen Zustand verweist es doch mehr auf seine eigenen Schwächen, etwa die einigermaßen falsch konstruierte Säule samt Kapitell. Rechts neben dem Tor ist die Malerei fast vollständig verschwunden, gerade noch ein wenig Säulenschaft und ein kleines Stück Balustrade sind noch erkennbar, der Rest verschwindet in der Struktur aus abgeplatztem Putz und feuchtem Schimmelbefall am Boden. Bernd Scheffer hat sich nicht im rechten Winkel vor das Esemble für seine Aufnahme, sondern leicht daneben; die Kamera blickt etwa aus seinem Winkel von 75° auf die Szenerie. Das ermöglicht dem Fotografen in den Innenhof mit den beiden Hühnern zu blicken. Das Licht, dass Bernd Scheffer offenkundig erst später hinzugefügt hat, zeigt den Einbruch des Medialen in die Konstruktion des tradierten Raumes an, es ist ein erneuter Manierismus.“ (Rolf Sachsse)
Wandmalerei in Tirano 2 / Italien
Fotografische Apparate beweisen nicht die Objektivität, die Richtigkeit der menschlichen Wahrnehmung, sondern sie beweisen lediglich, dass Menschen fähig sind, Apparate herzustellen, die zu vergleichbaren Konstruktionsleistungen führen wie das sogenannte Real-Bild. Ein Tier, dessen Augenapparat und dessen Gehirn erheblich anders konstruiert sind als unsere Organe, ist daher durch Foto- und Filmarbeiten auch nicht zu beeindrucken.

Das deutsche Wort „Wahr-Nehmung“ ist irreführend: Weder ist die Bildbetrachtung „wahr“, noch handelt es sich um eine „Nehmung“. „Eigen-Gebung“ wäre korrekter. Bilder haben keine in ihnen selbst liegenden Bedeutungen, sondern Bedeutungen werden den Bildern erst zugeschrieben – in individuellen, aber gerade auch in sozialen Prozessen.

Fotografien haben eine doppelte Urheberschaft: den Fotografen und den Betrachter. Jede Aussage darüber, was die Bilder, was die Fotografien selbst sind, ist einigermaßen sinnlos geworden. Betrachter handeln unvermeidlich autobiografisch: Sie bauen sich die Bilder in die eigene Lebensgeschichte ein. Das eigentliche Entwicklungs- und Vergrößerungslabor der Fotografie ist das menschliche Bewusstsein.
In einer Dorfgalerie in der Nähe von Shanghai / China
Jetzt könnte man endlich Schluss machen mit dem immer schon problematischen Zusammenhang von Fotografie und Wahrheit: Immer schon gab es Bilder und Filme im Kopf, eine Art Fotografie und Film ohne Kamera. Jedes Medium hat grundsätzlich immer schon das Problem von Wahrheit und Lüge. Hinsichtlich von Wahrheit und Lüge rangieren alle Medien zunächst auf gleicher Ebene. Keines kann von vornherein größere Echtheit beanspruchen. Die Verwechselbarkeit von Wahrheit und Lüge demonstriert täglich, dass auch die sogenannte Realität in Teilen gemacht ist und dass sie sich eben deshalb, weil sie gemacht ist, auch verändern lässt.
Die Kunst sieht dich an! / Ausstellung in Anzhofen
Fotografien (und andere Bilder) zeigen stets mehr als das, was auf ihnen zu sehen ist. Wir sehen nicht allein mit dem Auge, sondern vor allem auch mit dem Gedächtnis (und deshalb auch mit Gefühlen und mit Sprache). Visuelle Kommunikation ist „dual codiert“, d. h. man muss sich ein Bild auch erzählen können, um es bedeutungsvoll sehen zu können. Solange wir sagen: „Die Sonne geht unter!“ werden wir das – wider besseres Wissen - auch weiter so sehen.
"Dangerous Aera" / Schweden